Am Markt der DenunziantInnen
Was es da alles gibt: Reuige, Denunzianten, Kronzeugen, Spitzel, Provokateure usw. Ein bunter Kessel von Ausdrücken, die alle als "Zuarbeiter der Justiz“ zusammengefaßt werden können, ohne in irgendwelche Einzelheiten gehen zu müssen. Es gibt aber Unterschiede: laut Lexikon ist z.B. einE DenunziantIn, wer jemanden “aus niederen Beweggründen anzeigt”, KronzeugIn “einE MittäterIn, der/die gegen Zusicherung voller Straffreiheit als Belastungszeuge auftritt”.
Wobei der Begriff "ZuarbeiterIn der Justiz“ an sich ein sehr verschwommener Begriff ist. Schließlich gelten ja auch V-Leute als solche, und mit der im Lexikon dargestellten Definition haben diese überhaupt nichts zu tun.
Im europäischen Raum ist hauptsächlich die italienische Justiz sehr fortschrittlich und experimentierfreudig, was diese Konzepte und ihre Verwendbarkeit betrifft.
Als Denunziantin bezeichnet sich auch die Namsetchi, die Straftaten begangen haben will und angebliches Mitglied einer Organisation war, welche de facto nicht existiert, von der es weder Bekenner- noch sonstige Schreiben gibt und die sich als Ziel die Zerstörung der demokratischen Ordnung gesetzt haben soll. Dabei reicht es vollkommen aus, die Namen von Leuten zu machen und diese als Mitglieder der phantomatischen Organisation zu nennen.
Völlig uninteressant bleibt für die Justiz, daß die Organisation an sich gar nicht existiert. Völlig uninteressant bleibt, daß mensch eine nichtextierende Organisation nicht denunzieren kann. Im Gegenteil: die Justiz heißt eine solche phantasievolle Person willkommen. Wer kann die Öffentlichkeit besser von ihrer Glaubwürdigkeit überzeugen als eine Frau, die sich selbst anklagt?! Bei wem kann besser versucht werden, eine Theorie neu aufzuwärmen, mit der schon seit Jahren versucht wird, Dutzende italienischer AnarchistInnen in den Kerker zu schicken?
Wo bleiben die konkreten Beweise, fragt sich der gesunde Menschenverstand. Der einzige Beweis ist die Denunziantin selbst, welche sich an keine nachweisbaren Einzelheiten ihrer Darstellungen erinnern kann und ein sehr groteskes und zerbröckeltes Bild abgibt.
In Italien wimmelt es in der letzten Zeit nur gerade so von Zuarbeitern der Justiz jeglicher Coleur: Mafiosi, sogenannte "Freiheitskämpfer“, Industrielle, Politiker. Diese Art der Reue stammt ursprünglich von der Mafia. Schon in fernerer Vergangenheit gab es Haftvergünstigungen für "Pentiti“ (eben: "Reuige“) und Denunzianten, die ihre eigenen Taten eingestanden und Namen tatsächlicher oder eben auch erfundener MittäterInnen aussagten. Zum damaligen Zeitpunkt waren es jedoch eher Ausnahmefälle, in denen kein konkretes Beweismaterial die Aussagen begleiten mußten.
Mit der in Italien vorgefallenen Repressionswelle gegen mehrere AnarchistInnen, die auf der Aussage einer gedächtnislosen Handlangerin der Justiz beruht, und deren Aussagen vorwiegend über Videoaufnahmen im Gericht verfolgt wurden, stellt sich die Frage, wie lange so ein Vorgang – eine konstruierte Denunziantin – nur in Italien Glaubwürdigkeit findet. Jeder Justizapparat, jede Autorität, egal in welchem Lande, hat ein großes Interesse an diesen "Reuigen“, an DenunziantInnen, kurz an ihren ZuarbeiterInnen, um diejenigen auszuschalten, die auf irgendeine Weise unbequem geworden sind.
Dabei lockt der Justizapparat hauptsächlich mit Geld. Denunziant zu sein kann heutzutage ein gutes Geschäft darstellen. Je größer die Nachfrage seitens der Justiz ist, um so mehr Leute werden einen Ausweg ihrer finanziellen Not in diesem Job sehen, ohne sich weitere Gedanken über das Schicksal der Menschen zu machen, die sie in diesem Moment wie eine Ware benutzen. Die Justiz wird dafür sorgen, daß sie ihre Aussagen über Video machen können, um nicht mit den Angeklagten und deren FreundInnen oder Verwandten in Berührung kommen zu müssen, um ihren Job nicht wirklich zu bereuen. Diese ZuarbeiterInnen der Justiz könnten dann jederzeit auch in anderen Ländern Europas dazu benutzt werden; sei es, um beliebige frei erdachte subversive Vereinigungen oder terroristische Organisationen zu konstruieren, wie es in Italien gerade der Fall ist, sei es, um irgendwelchen Personen irgendein Delikt anzuhängen. Möglichkeiten, so etwas anzuwenden, gibt es viele. Wer weiß, vielleicht gibt es in den europäischen Nachrichtendiensten bereits eine Job-Börse für unterbeschäftigte "ZeugInnen“, mit Zeitvertrag, sozialer Absicherung und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Was bis gestern irreal klingt, könnte schon morgen zum Alltag in ganz Europa gehören.
Frohe Arbeitslose