Nur einen Schritt entfernt

Albanien steht in Flammen. Sicher: wir wissen nicht, wie sich diese Revolte entwickeln wird. Wir können nicht sagen, ob es sich um einen libertären Aufstand handelt, oder ob es Mafiosi oder Spitzel des alten Regimes sind, die das Feuer weiter anheizen. Wir können nichts wissen über die Zusammenhänge zwischen den Organisationen und den Rebellierenden. Und ganz sicher können wir uns nicht auf das verlassen, was die Medien sagen. Aber das ist auch nicht der Punkt.

Eine Revolte etikettieren zu wollen bedeutet nichts anderes als sie sich aneignen zu wollen, und das interessiert uns nicht. Was uns interessiert, was auch nicht verfälscht werden kann, ist die Tatsache, daß - nach Jahrzehnten Diktatur, zuerst der kommunistischen, später der demokratischen - Pastoren, ArbeiterInnen, StudentInnen, Frauen und Männer die Banken stürmten, von denen sie schon immer ausgebeutet wurden, daß sie die Soldaten und Polizisten entwaffneten, die sie schon immer als Sklaven gehalten hatten, daß sie die Kasernen und Waffenlager stürmten, daß sie in die Räume des Geheimdienstes, der sie schon immer ausspionierte und anzeigte, eindrangen. Ohne langes Zögern haben sie genau die verantwortlichen Strukturen der Herrschaft angegriffen. Sie nahmen dieselben Waffen, die vorher auf ihre Freiheit gerichtet waren und sie im Namen der Ausbeutung bedroht hatten, um sie auf die AusbeuterInnen und FoltererInnen des Staates zu richten. Sicher, wir wissen, daß es wieder diejenigen geben wird, die versuchen werden, die Glut zum Erlöschen zu bringen, die Revolte umzulenken und dieselben falschen alten Lösungen vorzuschlagen: neue Wahlen, neue Regierungen, neue Herrscher.

Die ersten Versuche, die Revolte auf dem politischen Weg einzudämmen, sind jedoch kläglich gescheitert. Der Einzug der Oppositionsregierung ist eine nichtssagende Farce. Die Geier der Politik versuchen, das Maximale zu retten, indem sie sich als Nationales Komitee der Öffentlichen Gesundheit ausbreiten wollen. Sie haben auch die Frechheit, sich als privilegierte Vermittler zu präsentieren, um die "Krise zu lösen". Aber kein Verhandlungsversuch, kein Aufruf, sich unter der patriotischen Fahne zu sammeln, nutzt irgend etwas, um die Aufständischen zu entwaffnen. Nicht einmal der lächerliche Versuch des Präsidenten, der sich immer noch auf einem Sockel der Autorität wähnt, denjenigen, die aufgeben werden, Gnade und Vergebung anzubieten, nutzt etwas. Er sollte lieber seine Sachen packen und verschwinden.

Eine Revolution ist kein Galadinner. Ihre finsteren und trüben Aspekte sind mit den aufregenden verbunden. Die Perspektiven aber, die eine solche Revolution eröffnet, sollten jeden zum Nachdenken anregen, insbesondere diejenigen, die als Totengräber jeglicher Möglichkeit zur gesellschaftlichen Veränderung durch die Szene schleichen. Die Fakten sprechen deutlicher als jede Theorie. Mit ihnen müssen wir uns auseinandersetzen, mit der Perspektive, den Konflikt zu verbreitern, um eine Form des Aufstandes zu erreichen, in denen es weder Herrscher noch Armeen gibt.

Wer einmal die Freiheit geschmeckt hat und das selbstbestimmte Leben, der ist nicht mehr bereit, diese aufzugeben und als Untergebener zurückzukehren. Das liegt uns nahe: die Freiheit, mit all ihren Unsicherheiten, ist nur einen Schritt entfernt, man muß nur das Risiko eingehen, sie sich zu holen. Die Herrscher suchen Schutz, denn ihnen ist diese Gefahr bewußt. Italien - Komplize des Berisha-Regimes genauso wie das Ramiz Alias vorher - war sich so sicher, über Albanien verfügen zu können und es in eine auszubeutende Provinz zu verwandeln. Italien zittert nun und rüstet seine Küsten militärisch auf.

Wovon wir träumen? Daß eine grenzenlose Revolte in den Eingeweiden einer jeden Herrschaft entbrennt.

(L'evasione März 1997)