In den vergangenen Wochen gab es diverse repressive Vorfälle. Der letzte davon brachte die Verhaftung von Patrizia (Maria Grazia Cadeddu) und die Räumung der Besetzung "Laboratorio Anarchico" am 20. Juni in Mailand.
Am 20. Juni fanden in Florenz und Turin Hausdurchsuchungen auf Befehl des Florenzer Richters Alessandro Crini. Der Durchsuchungsbefehl bezog sich auf "subversive Vereinigung und Aufruf zum Verbrechen." In Pescare wird gegen drei Geschwister wegen subversiver Vereinigung ermittelt, zuständiger Staatsanwalt: Antonio Marini. Am 20. Juni wurden, im Zusammenhang mit der Verhaftung Patrizias, ein Dutzend Wohnungen In Turin, Mailand, Venedig, Bordighera, San Remo und Cagliari durchsucht.
Patrizia wurde auf Befehl des GIP Enrico Tranfa verhaftet, der damit den Anträgen der Staatsanwälte Massimo Meroni folgte. Patrizia wird "Besitz von Sprengstoff und Explosion in der Öffentlichkeit" (näheres im Artikel zu Mailand, A.d.R.) vorgeworfen. Gegen weitere Personen wird wegen Beihife dazu ermittelt.
Beim ersten Verhör hat es Patrizia von sich gewiesen, diejenige Frau zu sein, die den Bekennerbrief bzgl. des Anschlages auf den Palazzo Marino am 25. April überbracht hatte und auf den Überwachungskameras des Radiosenders Radio Popolare aufgenommen wurde. Zwei Arbeitskollegen sei Patrizias merkwürdiges Verhalten im Arbeitsbereich aufgefallen. Außerdem - diese Information stammt von den BesetzerInnen des Laboratorio - hat eine römische Gesellschaft DM 10.000 für diejenigen ausgelobt, die die Frau des Filmes wiedererkennen.
Patrizia geht es erst mal gut. Sie schickte dieses Telegramm:
"Dank all denen, die den Mut hatten, mir ein Telegramm zu schicken. Ich verteidige meine über zwanzigjährige Aktivität in der anarchistischen Bewegung. Ich verteidige alle Kämpfe der 70er Jahre bis heute, Kämpfe, die ich mit Konsequenz vorangebracht habe. Ich verteidige die Liebe für alle GenossInnen innerhalb und außerhalb der Knäste. Die gesamte Mailänder Linke will mich im Knast sehen, damit sie sich sicher sein können, daß ihnen bei ihrem miserablen Treiben, das sie heute vollbringen, kein Mensch im Weg stehen wird. Mich im Knast einzusperren ist der einzige Weg, das Laboratorio Anarchico zu beseitigen, den letzten wirklich antagonistischen Ort in Mailand.
Kümmert euch nicht darum - wenn ich wieder rauskomme, holen wir uns alles wieder zurück. Ich liebe euch alle wie immer. Ich bin gelassen und ausgeglichen. Diejenigen, die mich anklagen, wollen meine Geschichte als Anarchistin ausradieren, meine Geschichte, die niemals Kompromisse mit dem System akzeptiert hat. Immer für die Anarchie!"
Auch wenn es nicht mit den repressiven und juristischen Ereignissen im Zusammenhang steht, ist bemerkenswert, daß die BesetzerInnen des Laboratorio Anarchico, die seit der Räumung ein Sit-in fortsetzen, kein bißchen Solidarität von anderen lokalen politischen Zusammenhängen (Besetzte Häuser und Zentren, Kollektive usw.) erfahren haben, auch nicht angesichts der Drohungen, das Sit-in zu räumen.
Am 1. Juli wurde die Anhörung der "Untersuchung Marini" wiedereröffnet. Die Anwälte forderten eine Verkürzung der Verhandlung für einige der Angeklagten, was Marini ablehnte, weil er die Untersuchung nicht "fraktionieren" will. Auch die Forderung nach einer einheitlichen Behandlung aller in den Prozeß Verwickelten - bezogen auf die Angeklagten, die im Ausland einsitzen - wurde mit der Begründung abgelehnt, die Urteilsverkündung nicht so lange aufschieben zu wollen.
Zwei sich in Gefangenschaft befindliche Anarchisten, Jean Weir und Christo Stratigopolus, haben das Wort ergriffen.
Jean hat einige wichtige Etappen in ihrem Leben geschildert, wie sie sich vor Jahren in Rom anarchistischen Ideen näherte, auf eine Art und Weise, die jegliche bewaffnete Organisation (wie sie Marini darstellt) ausschließt, und bekräftigte, daß es sich hier um nichts anderes handelt als einen Prozeß gegen die anarchistischen Ideale als solche, auch wenn Marini das Gegenteil behauptet.
Christos erklärte in einer gründlichen Darstellung, daß es keine aufständische Organisation gibt. Er legte in einigen persönlichen Analysen dar, was es bedeutet, sich horizontal und informell zu organisieren und die aufständische Methode in Verbindung mit der Masse anzuwenden. Er ging darauf ein, daß sich diese Elemente auch alle in einer Broschüre befinden, die einige Redebeiträge der Konferenz zusammenfassen, die von einigen Anarchisten '93 in Griechenland abgehalten wurde. (...) (A.d.R.: auf diese Broschüre wird auch in Marco Camenischs Artikel eingegangen. Sie wird demnächst in Englisch veröffentlicht werden.)
Die Anwälte planen, die Presse darauf hinzuweisen, daß bestimmte Fristen nicht eingehalten wurde, was in anderen Prozessen schon zur Freilassung der Angeklagten führte. (...) Am 12. Juli werden die Anwälte noch einmal sprechen, und man kann davon ausgehen, daß am 15. und 17. Juli die Vorverhandlungen abgeschlossen werden: sie haben es eilig, unsere Inquisitoren, aus Angst, die Anträge auf Freilassung könnten doch angenommen werden.
Und wie immer stand in keiner Zeitung auch nur ein Wort darüber.