Ein weiterer Schritt des italienischen Repressionsmodells

Wir wollen den neuen Repressionsschritt hervorheben, den der italienische Staat gegen militante proletarische Gruppen unternommen hat. Wir wollen die Aktion des Staates anprangern und uns mit all den GenossInnen solidarisieren, die von dieser Aktion getroffen wurden. Wir wollen breit zum Kampf und zur Solidarität gegen diese erneute kriegerische Aktion des weltweiten Staatsterrorismus aufrufen.

Dieses große Labor der Konterrevolution, das Italien gewesen ist; dieser modellhafte Repressionsstaat, der der Staat in Italien seit Jahren gewesen ist; diese Justiz- und Repressionsapparate, die auf internationaler Ebene so ein gutes Beispiel liefert, wie man Reuige, Kollaborateure und Abschwörer verquickt und produziert... hat einmal mehr einen neuen und repräsentativen qualitativen Sprung gemacht.

Vor einigen Jahren zeichnete sich der italienische Staat weltweit dadurch aus, daß er auf wunderbare Weise die Taktik der Verquickung einsetzte, um ganze Sektoren der proletarischen Bewegung in einen Topf zu werfen und des Terrorismus anzuklagen, denen man offiziell kein einziges konkretes Delikt vorwerfen konnte. Seit einigen Jahren war es Repressionstaktik des italienischen Staates, Bomben, die die Polizei selbst oder von ihr manipulierte Sektoren gelegt hatten, zu benutzen, um in der Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten und auf diese Weise all die staatsterroristischen Handlungen zu legitimieren. Seit mehr als 15 Jahren kombiniert der italienische Staat sein terroristisches Handeln, das allen Staaten gemeinsam ist (insbesondere die körperliche und seelische Folter) mit einer Gesetzgebung, die Verrat, Reue und Kollaboration begünstigt und die ein internationales Justizmodell darstellt, das von Polizei- und Justizapparaten in immer mehr Ländern übernommen wird.

Ausgehend von einigen Repressionsmaßnahmen, in denen irgendein "Anarchist" schuldig gesprochen wird, sowie von einigen Hausdurchsuchungen, bei denen Waffen entdeckt werden, vor allem aber von vagen Erklärungen einer konstruierten Kronzeugin (1), setzen die Staatsinquisitoren, vertreten durch die römische Staatsanwaltschaft, eine Staatskampagne zusammen, in der gegen verschiedene Gruppen und Militante, die sich selbst "Anarchisten" nennen, Anklage erhoben wird. In Wirklichkeit werden keine einzelnen Schuldigen gesucht, sondern man versucht, eine ganze widersprüchliche Bewegung mit unterschiedlichen Strukturen und Positionen zu illegalisieren, deren Gemeinsamkeit darin besteht, daß sie sich als "Anarchisten" definierten (2).

Natürlich richtet sich diese Art staatlicher Angriff nicht gegen die "Anarchisten" im allgemeinen - schließlich sind Teile derer, die sich so nennen, in Italien wie in aller Welt klar reformistisch und pazifistisch und leisten auf diese Weise dem Staat hervorragende Dienste. Andererseits übt der italienische Staat wie in der Vergangenheit Druck auf alle Sektoren aus, die er verquickt, damit sie abschwören, sich entschuldigen etc., und er erzielt damit großartige Resultate. Wie früher, als es angesichts der Repression gegen die Roten Brigaden, Prima Linea und andere Gruppen Abschwörungserklärungen regnete, haben auch heute einige Sektoren des offiziellen Anarchismus, etwa der "circolo Berneri" und die FAI, nicht gezögert, auf der Basis von Kommuniqués abzuschwören, in denen sie erklärten, die Beschuldigten seien keine Anarchisten, sondern Provokateure, und im Grunde versuchten, sich beim Staat zu entschuldigen, indem sie erklären, Anarchisten würden niemals bewaffnete Aktionen durchführen.

Daher ist es logisch, daß die Vertreter der Repression, während sie die offiziellen "Anarchisten" in Frieden lassen, versuchen, diejenigen zu identifizieren und ihnen harte Schläge zuzufügen, die sie als echte Staatsfeinde betrachten. Geht man von der Sichtweise eines Polizisten oder Richters aus, die die Subversion nicht als "natürliches" und unvermeidliches Resultat des Elends und der Unterdrückung betrachten, sondern als Werk einer Verschwörerbande, so ist es nur natürlich, daß sich daraus unzählige Fehler ergeben, die sie dazu bringen, sogar Militante und ganze Sektoren zu verurteilen, die überhaupt keine revolutionäre Aktivität entwickeln (und umgekehrt).

Seit Ende 95 und während des ganzes Jahres 96 hat es einen Komplex von Prozessen, Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Anklagen, Verquickungen, Erklärungen, Kampagnen gegeben, dessen Höhepunkt der 16. und 17. September bildeten; an diesen Tagen wurden etwa 60 Häuser und Wohnungen in verschiedenen italienischen Städten durchsucht, Dutzende Militante verhaftet und einige weitere Militante in den Untergrund getrieben. Während nur einigen der Verhafteten wegen einiger Banküberfälle Mord und Raub vorgeworfen wird, wird auf die große Mehrheit - undifferenziert und ohne weitere Beweise als den Vorwurf, der gleichen bewaffneten Bande (einer Organisation, die "Organizzazione Rivoluzionaria Anarchica Insurrezionalista" heißen soll) anzugehören - ein Konglomerat von assoziativen Typifizierungen angewandt: "bewaffnete Bande", "subversive Vereinigung", "Waffen- und Sprengstoffbesitz" und "Attentate gegen gemeinnützige Strukturen".

Wir heben diese notorische Verquickung von Militanten, denen man weder eine bewaffnete Aktion noch Waffengebrauch nachweisen kann, nicht deswegen hervor, weil wir uns mit "Unschuldigen" solidarisieren wollen und nicht mit denen, die bewaffnete Aktionen gegen Privatbesitz und den Staat ausgeführt haben - so wie das viele reformistische und opportunistische politische Organisationen tun -, denn die "Schuldigen" waren und sind ein wichtiger Bestandteil unserer Bewegung im weitesten Sinne des Wortes; wie es die Revolutionäre seit der Epoche von Marx und Bakunin bis zur Zeit von Flores Magón und Rodolfo Gonzalez Pacheco gefordert haben. Wir tun es, weil es uns sehr wichtig erscheint, die Tatsache zu verkünden, daß der Staat nicht diejenigen bekämpfen will, die dieses oder jenes "Delikt" begangen haben, sondern all jene die eine Gefahr für ihn darstellen - ob sie nun dieses oder jenes "Delikt" begangen haben oder nicht, ob man es ihnen nun nachweisen kann oder nicht. Kurz gesagt - denn dies muß ganz klar werden - die staatliche Taktik der Verquickung (sowie die der Abschwörer, der Kollaborateure...) zu entlarven als einen Weg, eine breite soziale Bewegung niederzuhalten, um die Klassenherrschaft zu sichern und zu reproduzieren. Wir betonen also, daß die Beschuldigten formell abgestritten haben, einer einzigen klandestinen Organisation anzugehören, und erklärt haben, daß ideologisch gesehen eine "revolutionäre anarchistische Organisation für den Aufstand", als spezifische und abgetrennte Struktur, für jemanden, der sich "Anarchist" nennt, keinen Sinn machen würde, da die Konzeption, die diese Abkürzung zeigen würde, eher leninistisch wäre und ihren Positionen daher fremd.

"Die Richter wissen sehr wohl, daß die anarchistische Organisation, von der sie sprechen, nicht existiert. Sie wissen, daß das Modell der bewaffneten Bande - abgeleitet vom Blick in den Spiegel - sich nicht auf die realen Beziehungen zwischen den Anarchisten anwenden läßt. Individuen, die sich auf der Basis der Affinität treffen, das heißt ausgehend von den eigenen Unterschieden, und Initiativen entwickeln, ohne eigene Vereinigungen formal zu gestalten, Individuen, die sich organisieren - richtig - aber nie in einer rigiden und vertikalen Weise, können keine bewaffnete Bande sein. Und das nicht nur, weil sie die Klandestinität ablehnen (eine Ablehnung, die bedeutend ist), sondern weil sie nicht bereit sind, sich - weder als Abkürzung noch als Programm - einer Struktur anzuschließen, die aus dem bewaffneten Zusammentreffen eine von der subversiven Gesamtheit abgetrennte Realität macht. Dies ändert sich nicht im geringsten, wenn ein Anarchist - individuell und alle Verantwortung auf sich nehmend - sich entschließt, Waffen zu gebrauchen. Selbst wenn also alle, gegen die ermittelt wird, oder gar wenn alle Anarchisten auf der ganzen Welt - außer geschrieben, diskutiert, geliebt, Manifeste verteilt, die Chefs beleidigt zu haben, von der Arbeit weggeblieben zu sein, Räume besetzt und Waren zurückgewonnen zu haben - zu den Waffen gegriffen hätten, so würde auch das keine bewaffnete Bande aus ihnen machen. Die Macht ist es, die diese erfinden muß... Was die Richter einmal mehr bewirken wollen, ist die Illusion daß außer dem Überleben und dem Warten nur die bewaffnete Organisation bleibt. Zum Glück ist der Aufstand nicht das, als was die Repressionsorgane ihn gern hätten..."

(A.d.R.: Abschließend sind noch einige Informations- und Kontaktadressen aufgeführt, die auf unserer Adreßseite enthalten sind.)

aus "Comunismo Nr. 40"

"Comunismo" ist erhältlich bei: Correspondencia, BP 54 - BXL 31, Belgien 1060 Bruxelles.

(1) Auf der Basis der Erklärungen der konstruierten Kronzeugin Namsetchi Mojdeh, die viele gravierende und erwiesene Fehler enthalten, wird eine ganze Szene angeklagt.

(2) Einer der verhafteten Genossen ist Alfredo M. Bonanno, der beschuldigt wird, der "Kopf der bewaffneten klandestinen Bande" zu sein. Er hat - trotz der politischen Unterschiede in unseren Positionen - sehr gute Arbeit gemacht, zum Beispiel die Amnestie in Italien entlarvt, und er hat eine Sammlung von historischen Texten von Kommunisten (der sogenannten "linken kommunistischen Internationalen" wie Pannekoek) in dem Verlag "Anarchismo Editions" wiederveröffentlicht und verbreitet.