Gefängnisse, ihr Wesen und ihre Wirkungen scheinen einen abgeschotteten Raum in unseren Gedanken einzunehmen.
Die Justiz bringt die Art, die die Gesellschaft gewählt hat, um ihre Konflikte zu regulieren, nämlich durch Zwang und durch das von ihr ausgehende Bild, auf den Punkt, während Gefängnisse die Summe dessen sind, was uns direkt zerstört und unterdrückt. Wir müssen verstehen, wo und wie man handeln kann, um dem schmutzigen Kampf ums Überleben ein Ende zu setzen. Das schließt das Problem der Zerstörung der Gefängnisse und der Justiz überhaupt ein. Eine wesentliche Voraussetzung, um das Ende der Justiz zu erreichen, ist es, nicht länger in der Sprache der Justiz zu sprechen und zu denken. Diese wird normalerweise nur gebraucht, um den "Mißbrauch" der Macht anzuzeigen. Das heißt nicht, daß wir Gefangenen die Möglichkeit verweigern, eine korrekte Behandlung einzufordern, wenn sie gefoltert oder gequält werden. Aber wenn man sich darauf beschränkt, gewisse Dinge als Fehlverhalten zu sehen (der "Machtmißbrauch" der Schließer ist falsch), ohne die Monstrosität der tatsächlichen Existenz des Knastes wahrzunehmen, findet sich ein Gefangener in einer perversen Aufrechnung wieder: was bedeutet es, um das Recht zu bitten, "korrekt behandelt" zu werden? Würde nicht jedes Individuum lieber auf jede Behandlung verzichten?
Das Gesetz kann man als das Recht des Einzelnen, diese oder jene Sache zu bekommen oder zu tun, sehen, oder als Gesamtheit von juristischen Texten und Praktiken. Das zweite scheint dabei das erste einzuschließen und zu garantieren. Das Vorgehen der Demokratie gibt vor, die Gesetze mit den Menschenrechten auszufüllen. Dabei ist aber jedes für uns vorteilhafte Gesetz bereits eine Beraubung, eine Suche nach uns in etwas anderem als uns selbst.
Aber was wird durch das Gesetz bestimmt? Eine Freiheit, die nur in negativen Begriffen gemeint ist: "Meine Freiheit endet da, wo sie die des anderen einschränkt." Ein Bild des Individuums als Territorium, welches durch andere begrenzt ist, ein Bild von Kleineigentümern, Vorläufer des berühmten "mein Körper gehört mir." Es ist kein Zufall, das diesen räumlichen Konzepten die zeitliche Dimension, dieser fundamentale Reichtum der Menschen, abgeht.
Jedes Recht und jedes Gesetz ist von Natur aus ein prinzipielles und praktisches Mittel des Ausschlusses und der Entbehrung. Wer immer sagt, das Recht würde Austausch bedeuten, weil das Gesetz dafür da ist, eine ausgewogene Verteilung von Rechten und Pflichten zu organisieren und im Fall von Störung das Maß des Ausgleiches zu bestimmen. Ein Recht gehört immer einem bemitleidenswerten Eigentümer, bemitleidenswert, weil er einen Eigentumstitel für die Dinge besitzen muß, deren Verlust er fürchtet oder die ihm genommen werden könnten. Das Gesetz zielt immer darauf ab, eine Gemeinschaft zu regieren, die nicht selbst in der Lage ist, ihr Leben zu organisieren, ohne komplett auseinanderzubrechen.
Das heutige Gesetz ist ein präzises Instrument, das bestimmt, was jede Person tun muß. Das betrifft sogar die Staatsdiener: Die Polizei ist angehalten, sehr strenge Regeln einzuhalten. Natürlich ist sie im selben Moment gezwungen, sie zu brechen, um überhaupt funktionieren zu können. Die juristische Kontrolle ihrer Arbeit ist eine Täuschung: jeder weiß, daß die Bullen (unerlaubte) Mittel benutzen, um Druck auszuüben, und jeder weiß, daß Richter das beinahe immer übersehen. Egal, ob auf einen Ermittler oder einen normalen Bürger angewandt - das Recht dient nicht dazu, Exzesse zu verhindern, sondern sie in einem vernünftigen Rahmen zu halten, um gesellschaftliche Institutionen und Ordnung nicht zu gefährden. Genauso dient ein Urteil dazu, die genaue Vergeltung für die verletzte Seite zu beschreiben, die in den Grenzen gehalten wird, die von einer dritten, "über den Dingen stehenden" Partei aufgestellt wurden. Jede Gesellschaft verfügt über Normen, die es den Mächtigen erlauben, sich zu rechtfertigen, ihre Herrschaft zu legitimieren, und so die Zustimmung der Ausgebeuteten zu erhalten.
Die Bibel bestimmt nicht, sie listet ihre Gebote auf, begründet mit dem unergründlichen Göttlichen Willen (was man tun und was man nicht tun sollte). Die moderne Ära bietet auch eine Definition des Menschen an und leitet daraus die Regeln ihrer Gesellschaft her. Unter dem Vorwand, das Gute und das Schlechte zu bestimmen, passierte dasselbe im Bereich der Justiz. Deshalb die Klassifizierung als "gut" oder "schlecht". Schuld und Unschuld sind Attribute des juristischen Mechanismus, da sie ein Urteil enthalten (wobei die betroffene Person herzlichst angehalten ist, es zu verinnerlichen). Genau gesagt: die gröbsten Taten (Vergewaltigung, Mord, Folter) zu verstehen und selbst erlebt zu haben heißt noch nicht, über sie zu richten. Wer immer zu Gericht sitzt, trifft Einschätzungen im Namen von etwas, was hinter die gesellschaftlichen Beziehungen geht, durch die diese Taten bestimmt sind.
Genau wie die Moral in zwischenmenschlichen Beziehungen wendet die Justiz eine festgelegte Norm auf Konflikte und Gewalt an, um das Trauma zu würdigen, es genau zu bestimmen, um es schließlich auszutreiben. In dieser Logik muß es eine schuldige Partei geben, nicht nur eine verantwortliche. Schuld durchdringt den Schuldigen und wird schließlich zu seinem ganzen Wesen. Dieser Vorgang ist dann abgeschlossen, wenn die Justiz dazu übergeht, nicht mehr über die Aktion an sich zu richten, sondern über die gesamte Person "im Lichte der Tat", unterstützt von Analysen der Beweggründe, psychiatrischen Berichten und Persönlichkeitstests.
Die Sphäre der Staatlichen Kontrolle dehnt sich bis dahin aus, daß es mehr Rechte gibt, damit diese respektiert und Vergehen sanktioniert werden. Die Tendenz der demokratischen Gesellschaft ist es, alles und jedes zu bestrafen. Sie sieht eine Regel und eine Strafe für jegliche Art der Gewalt vor, beginnend beim Klaps der Eltern bis hin zur Vergewaltigung. Diese Ausdehnung der Rechte geht mit einer allgemeinen Kriminalisierung einher. Es wird behauptet, die Gewalt sei in allen sozialen Beziehungen gebannt. Aber damit ist das durch den Staat "legitimierte" Monopol auf Gewalt gestärkt, die sicherlich unendlich schlimmer ist als jede andere. Die Justiz verringert Gewalt nicht, sie normalisiert sie. Wie die Demokratie errichtet sie Filter sowohl für Intoleranz als auch für Gewalt.
Wie die Demokratie arbeitet die Justiz auf der Basis der Vernunft, angeblich ohne Zuflucht zu Gewalt nehmen zu müssen. Aber rohe Gewalt ist für sie nötig, um sich selbst auszudrücken, um der Diskussion ihre Begriffe aufzuzwingen. Auf dieselbe Art beruht die Demokratie auf der Verweigerung vor der von ihr erzeugten Gewalt - der Gewalt, die dazu gebraucht wird, ihr Fortbestehen zu sichern.
Und so betrifft dieser Filter auch radikale Aktionen. Zum Beispiel ist die radikale Aktion, sobald sie ein Gericht betritt, nur noch in der Lage, das vorzuschlagen, was für das Gesetz akzeptabel ist. Das ist kein Grund, nicht zu handeln oder zu bereuen, gehandelt zu haben, sondern ein Grund, es wissend zu tun: es kann keine revolutionäre Intervention innerhalb der Justiz geben. Der Apparat trennt die Beschuldigten von den sie betreffenden Diskussionen, indem sie deren Macht und Möglichkeiten - wie das in der Demokratie ständig geschieht - an einige ihrer Repräsentanten delegiert, in diesem Fall an die Anwälte.
Das schlimmste ist, daß geglaubt wird, die Justiz zu kontrollieren, da Prozesse öffentlich sind. Tatsächlich kontrolliert die Justiz die Öffentlichkeit. Das Bild, daß von Gerichten ausgeht, trägt eine folgenschwere, hypnotisch wiederholte Botschaft: Gewalt ist das Monopol des Staates. Wenn Konflikte zwischen Parteien zu Verwirrung und Unsicherheit führen, ist es der Staat, der die Dinge regelt: "Ich besitze auch das Monopol der Wahrheit." Die Dreifaltigkeit "Polizei - Justiz - Medien" muß deshalb als Ganzes analysiert werden. Auch wenn das Spiel zwischen diesen drei Partnern manchmal drunter und drüber geht, sind sie immer in der Lage, jeden Skandal auszusitzen. Es gibt einen Skandal, wenn sich herausstellt, daß irgendwer die Regeln verletzt hat: aber diese Beschuldigungen gehen davon aus, daß man im Spiel bleibt. Der tatsächliche Bruch wäre es, aus ihm auszusteigen.
Keine Beschuldigung, kein heller Schein der Wahrheit hat die Kraft, die Existenz der gesellschaftlichen Beziehungen und Institutionen zu gefährden.
Warum sollte man sich überhaupt mit der Frage von Repression und Justiz beschäftigen? Sicherlich nicht nur wegen der Existenz des schwerwiegenden und beispielhaften Horrors in den Gerichten und Gefängnissen. Wir müssen keine Sammlung von Horrorfällen erstellen, um die gesamte Gesellschaft in Frage zu stellen. Das führt uns nicht an die Wurzeln von Ausbeutung und Entfremdung. Mehr noch, es ist ungeheuerlich, eine Skala der Grausamkeiten aufzustellen: der Gefangene im Knast, der Soldat, der für das Kämpfen im Schlamm des Schützengrabens ausgebildet wird, der Arbeiter, der einen Arbeitsunfall erleidet, der Bauer, der 16 Stunden am Tag schuftet: sie alle haben genügend gute Gründe, den ultimativen Horror in ihrer eigenen Situation zu finden.
Deshalb weiß eine stabile und effiziente Gesellschaft, die Unterdrückungsmechanismen mit dem Honig der partiellen Befriedigung zu tarnen. Ist die Humanität der Arbeit nicht eines der ständigen Schlagworte des Kapitals? Außerdem genügt es in der "freien" und demokratischen Gesellschaft nicht, einfach nur Wohlstand zu schaffen, wichtiger als alles andere ist es, "einen Job zu finden." Mittlerweile verstehen sie auch in den Gefängnissen, daß keiner noch länger ohne Beschäftigung sein darf: dem Gefangenen wird ein Job zugeteilt, um seine Zeit zu kassieren und ihn selbst zu mobilisieren, indem seine Zeit ausgefüllt wird. Das Konzept des einmal auferlegten Urteils allein ist damit historisch und kulturell aus der Mode gekommen. Dieselben, die außerhalb der Mauern nicht in der Lage waren, ihre Existenz auszufüllen und zu "veredeln", finden sich jetzt von einer Situation beherrscht, die ihnen und dem Staat beträchtliche Vorteile anbietet.
Strafinstitutionen sind eine nötige Einrichtung der Klassengesellschaft, egal wie viele oder wie wenige Gefangene sie halten. Ihnen auszuweichen ist reine Illusion, genauso wie die Idee einer selbstverwalteten Ökonomie, in denen die Lohnbezieher ihre eigene Ausbeutung selbst bestimmen - ein Horror, der den blutdürstigsten Diktatoren zur Ehre reicht. Das Gefängnis hat eine symbolische Funktion, die nicht ersetzt werden kann. Die Inhaftierung einiger weniger erinnert alle an das Bestehen der Norm, die von ihnen verletzt wurde. Damit werden Gefängnisse nie aufhören, als Bezugspunkt zu dienen, der die Grenzen, die nicht zu weit überschritten werden können, verdeutlichen soll.
Die heutige Gesellschaft ist eine der maximalen Unfähigkeit, aber auch der allgemeinen Mitwirkung. Das gesamte Dasein benötigt Vermittler, deshalb gibt es eine Belebung der öffentlichen Dienste. Deren Funktionieren ist durch das Netzwerk geweckter Bedürfnisse gesichert. Der Staat füllt die Leere der Existenz mit Instrumenten, die er benutzt, um Kontrolle auszuüben, während er gleichzeitig andere Instrumente, wie eben Gefängnisse, für den Ausschuß der Gesellschaft aufrechterhält. Natürlich könnte diese Funktion auf eine andere Art gesichert werden. Eine Gesellschaft, die der eigenen Wandlung fähig wäre, könnte sie mit niedrigeren Kosten (finanziell wie gesellschaftlich) sichern. Aber auch sie würde nicht aufhören, diese Funktion auf irgendeine Art aufrechtzuerhalten.
Die zwar interessante, aber oberflächliche Kritik, die die Justiz nicht komplett in Frage stellen kann, geht davon aus, daß diese aufrechterhalten werden kann und muß, am besten als Justiz, deren Eingreifen in einer zukünftigen Gesellschaft ohne Gewalt unnötig ist. Sie gibt den Verbrechen der Klassengesellschaft die Schuld an der jetzigen Gewalt. Es war schon immer der Traum der Erleuchteten und der Partisanen der Gedankenschulen, sich eine "perfekte" Welt zu wünschen.
Als separater Mechanismus zur Konfliktlösung durch die Projektion eines Schemas und dem Ignorieren des Individuellen wird die Justiz nicht abgeschafft sein, auch wenn ihre Funktionen an ein anderes System übertragen werden, die über den Menschen steht und viel sanfter und widerruflicher ist, deren Zusammensetzungen in Wahlen bestimmt wird und einer Volksversammlung verantwortlich ist. Eine spontane Form der Justiz mit flexiblen Gesetzen oder gar eine ohne Gesetzbücher überhaupt würde deshalb noch nicht aufhören, "gut" und "schlecht" mechanisch zu trennen, unabhängig von den gesellschaftlichen Bedingungen und tragischerweise gegen diese gerichtet. Ob die Richter Bürokraten sind, ob die Strafgesetze streng oder angepaßt sind - das ist für uns kein Unterschied. Es ist die Vorstellung von Justiz, die wir zerstören wollen. Selbst eine tägliche Veränderung der Gesetze, mit der Entwicklung des "Gewohnheitsrechts" schritthaltend, würde an ihrer Funktion nichts ändern.
Unabhängig von der Wissenschaft der Wahlen: die gesellschaftliche Ordnung gewinnt jedesmal, wenn man wählt. Ebenso ist es gleich, was ein Gerichtshof beschließt: bereits die Existenz der Justiz schafft ihren Sieg: sie braucht nicht mehr.
Der moderne Justizapparat ist extrem rational und wissenschaftlich. Gleichzeitig prahlt er, mit seinen Verfahren, die die Möglichkeiten für Beschuldigte und ihre Verteidigung, fast aufs Milligramm genau abmessen, mit seiner vorzüglichen "Unparteilichkeit". Er kann sich sogar erlauben, Individuen gegenüber gewissenhaft zu sein, die sich dankbar unterwerfen: er kontrolliert sie, plündert sie vollständig aus, erlangt volle Macht über deren Existenz. Bereits seine reine Existenz ist ein Sieg, da er jeden, auch uns, die ihn herausfordern, zwingt, nach seinen Regeln zu spielen.
Nur die unverbesserliche politische und eifernde Linke kann ein Urteil als Sieg oder Niederlage der Justiz betrachten. Und es ist nicht verwunderlich, daß diejenigen, die nicht die Justiz an sich kritisieren, genau die sind, die die Natur von Demokratie, Faschismus, Antifaschismus usw. nicht verstehen oder akzeptieren können. Ebenso wie sie an Wahlen teilnehmen oder das Wahlrecht für Immigranten einfordern, fordern sie Richter aus der Arbeiterklasse anstelle "bürgerlicher". Ihre Perspektive besteht nicht in der Zerstörung der Justiz, sondern, wie so oft, in ihrer Demokratisierung. Trotz allem, egal ob man das tragisch oder komisch findet: die oft unter den Ausgebeuteten selbst stattfindene Reproduktion des Charakters von Justiz und dem Gefängnis als deren Ergebnis zeigt das tatsächliche Ausmaß des Problems.
Man kann sich durchaus in einer Situation wiederfinden, in der man das Feld des Gegners betreten und in juristischen Begriffen argumentieren muß. Das kann aber nie einen Sieg bedeuten und ist immer eine Aufgabe, die man besser seinen Anwälten überläßt. Zum Beispiel kann eine öffentliche Aktion, die draußen stattfindet und Zweifel weckt und einen "Justizirrtum" beschwört, und etwas gute Arbeit der Anwälte auch die Justiz zwingen, den Beschuldigten stark entgegenzukommen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß die Justiz auch dann ihren eigenen Regeln entsprechend handelt, mehr noch, daß sie uns ihre Regeln aufgezwungen hat. Eine Institution, die ihre eigenen Fehler akzeptieren kann, ist eine Institution, die sich selbst stärkt.
Ein Gericht, das freispricht, ist ebenso wie eines, das verurteilt, immer noch ein Gericht. Man kann sich schwerlich einen Platz vorstellen, an dem die Enterbten machtloser sind als vor Gericht. Eine Ausnahme könnte durch den Druck einer sozialen Bewegung entstehen, z.B. wenn eine Menschenmenge mit der Forderung nach Straferlaß auftritt, genauso wie eine Polizeiwache von Hunderten Demonstranten belagert werden kann, die die Freilassung der Festgenommenen fordern. Aber dieser Druck kommt von außerhalb. Die Kraft der Ausgebeuteten wird immer an anderen Plätzen hervorgebracht.
Es ist wie immer oft mühselig, mit der Vorstellung aufzuräumen, daß der einzige Weg, vom Justizapparat wohlwollend behandelt zu werden, darin besteht, innerhalb ihrer die gesellschaftliche Harmlosigkeit derer aufzuzeigen, die sich darin verfangen haben.
Ja, und theoretisch sind wir alle der Meinung - die beste Art, sich mit einem Akt der Revolte zu solidarisieren ist es, einen anderen durchzuführen. Viele sind zum Applaus und zum Preisen einer erfolgreichen Aktion bereit, und es gibt genügend Genossen, die bereit sind, diese Maxime in die Praxis umzusetzen, indem sie sie immer wieder vorschlagen und damit zu ihrer allgemeinen Verbreitung beitragen. Aber ein subversiver Akt geht weit hinter seine momentane Erscheinung - im Guten wie im Schlechten. Andererseits denkt niemand daran zu handeln, wenn die Vorhaben mißlingen und die Autoren der rebellischen Geste vereinzelt oder verhaftet werden. Damit spiegelt sich Solidarität nicht mehr in unserer Aktion wider, sondern in der Reaktion auf die Aktivitäten anderer, nämlich der Richter.
So bevorzugen wir es zu warten: auf die Ratschlägen der Anwälte, die Erklärungen der gefangenen Genossen, den Abschluß der Ermittlungen. Man wartet ab, wie sich die Dinge entwickeln. Vorher waren das, was zählte, unsere Wünsche und unsere Versuche, sie zu verwirklichen; jetzt geht es nur noch darum, unsere Genossen "herauszukriegen".
Wir beabsichtigen nicht, das Handeln zu instrumentalisieren oder neue "Märtyrer für die Sache" zu schaffen; und obwohl es zweifellos unser vorrangiges Ziel ist, unsere Genossen aus dem Knast herauszuholen, ist es genauso notwendig, die Mittel einzuschätzen, die man benutzen will, und ihre Natur und ihre Grenzen zu erkennen.
Statt dessen scheint es mehr und mehr lohnender, die gewohnte Kritik an der Justiz beiseite zu lassen, die bellizistische Kriegserklärung gegen die Gesellschaft zu vergessen und sich darauf zu beschränken, "gerecht" zu sein und den Freispruch eines "Unschuldigen", die Freilassung eines "kranken Genossen" zu fordern. Und im Endeffekt das als kindischen Streich zu bezeichnen, was wir unter anderen Umständen als Geste der Revolte akzeptierten. Aber ist es wirklich das, was wir wollen? An die humanitären Gefühle derjenigen zu appellieren, die wir ablehnen?
Im Angesicht der Justiz und der Angst, die sie hervorruft, scheint es, daß wir nur noch fähig sind, uns und das, was wir anstreben, zu widerrufen. In Freiheit Rebellen und Revolutionäre - in der Hand des Feindes sind wir nur noch fähig, die Harmlosigkeit der von uns durchgeführten Aktionen zu beteuern. Die Macht steckt Subversive, Anarchisten ins Gefängnis, weil sie als solche eine "Gefahr für die Gesellschaft" sind. Um sie wieder herauszukriegen ist alles, was wir tun können, sie als harmlose Lämmer zu zeigen.
Sind wir zynisch? Entschuldigen wir uns für die Opfer? Keines von beiden. Wir fühlen lediglich eine quälende Frage: sind wir nur brave Jungs?
Aldo Perego