Der Anschlag auf den Palazzo Marino

25. April, Tag der nationalen Befreiung vom Faschismus in Italien. Paraden, Feste und Vorträge der demokratischen "GeistesbesetzerInnen". Was interessiert das die AnarchistInnen, die jeglichen Staat, egal ob rechts, links oder mitte, militärisch oder konsumistisch, ablehnen?

Der 25. April 1997 war in Italien besonders: geschlagene vier Stunden Wartezeit an der Grenze zu Österreich. Ja wo fahren diese ItalienerInnen denn alle hin, warum tun sie sich das an, ihrem warmen Land den kühlen Norden vorzuziehen, fragt man sich? Die Antwort kommt von zwei Seiten: auf der Suche nach illegalen EinwanderInnen aus Albanien führt Österreich minutiöse Kontrollen durch. Nicht nur, daß man diese Vorgehensweise dem österreichischen Grenzern zutraut - nein, es ist öffentlich bekannt, daß es die Aufgabe Österreichs ist, die Grenzen zu bewachen, die von Italien und Deutschland heuchlerisch "geöffnet" wurden.

Da kursiert jedoch noch ein Gerücht zwischen den genervt wartenden AutofahrerInnen. Irgendwer will in einem italienischen Radiosender gehört haben, daß in Mailand ein Bombenanschlag verübt worden sei, und die Grenzen aus diesem Grunde besonders überwacht werden. Wir denken, daß der eine Grund den anderen nicht ausschließt, und geben eine Zusammenfassung der italienischen bürgerlichen Presse der darauffolgenden Tage wieder: "Bombe in Mailand - die Anarchisten fordern heraus" (corriere della sera, 25. April 1997).

In einer Presseagentur Ansa in Bologna, sowie vor dem Haupteingang des alternativ/kommerziellen Radiosender Radio Popolare in Mailand traf ein Bekennerbrief ein, in dem sich angeblich eine Gruppe "Azione Rivoluzionaria" zu dem am 25. April verübten Anschlag in Mailand auf den Palazzo Marino bekennt. Die italienische Presse läßt ihrer Phantasie freien Lauf, tratscht und erfindet die unmöglichsten Zusammenhänge vergangener und gegenwärtiger Zeiten, und dreht sich im Kreis auf der Suche nach dem realen Motiv dieses Anschlages. Die Mißverständnisse werden durch ein Telefonat gelöst: "Wir fordern die sofortige Freilassung der gefangenen AnarchistInnen".

Ein altes Theorem taucht wieder auf. Dieser Anschlag ist sicherlich auch mit der (konstruierten a.d.Ü.) ORAI in Verbindung zu bringen. Eine Sondersitzung aller repressiven Kräfte, Staatsanwälte, Carabinieri, Sondereinheiten usw. wird einberufen, die ein weiteres Delirium hervorruft, das schließlich seinen Höhepunkt mit der Suche nach anarchistischen terroristischen Zusammenhängen auf den Internetseiten der europäischen HausbesetzerInnenszene erreicht (näheres im Artikel von "Caliente")

Zwischenzeitlich trifft per Post ein weiteres Bekennerschreiben bei Radio Popolare ein, welches u.a. dem Sender selbst Denunziantentum vorwirft, da dieser, anstatt das Bekennerschreiben vorzulesen, sich dafür entschieden hatte, es der italienischen Politpolizei zu übergeben. Um das zu verstehen, muß man wissen, daß Radio Popolare in den 70iger Jahren als freies Radio entstand, welches den kämpfendem Proletariat Stimme geben möchte. Im Verlaufe der Jahre werden jedoch genau diese Stimmen weitgehend zensiert. Das Radio wird nicht nur immer kommerzieller (Werbungen aller Art, Aktienverkauf), sondern folgt immer mehr einer legalistischen und reformistischen Linie. Musik, die wir in unserem Lande auch nur zu gut kennen! Also nichts neues, nichts verwunderliches; es läßt aber einen Einblick zu, welche Szenenzusammenhänge bei welchen Sendern zum Ausdruck kommen und welche nicht.

Was den Bombenanschlag selbst betrifft: der Sachschaden war hoch, verletzt wurde niemand. Inzwischen kam es zu einer Festnahme und mehreren Hausdurchsuchungen. Näheres dazu in der CDA-Notiz vom 2. Juli.