Glühwürmchen sind zu sehen, weil sie nachts fliegen

Die Geschichte ist wie Chrustshov: sie rehabilitiert alle, einen nach dem anderen. Die "Kleinbürgerlichen", die "Spione des Kapitalismus", die "Saboteure der Revolution" (also alle verdächtigen Individuen der stalinistischen Bürokratie) haben nach der brutalen Repression die Rehabilitation kennengelernt, als Tote oder als Wiederauferstandene. Die offizielle Wahrheit über die stalinistische Bürokratie war einfach: sie existierte nicht. Und wie kann etwas kritisiert werden, das es offiziell nicht gibt? So haben die Dissidenten erst aufgehört zu leben, dann haben sie aufgehört, Dissidenten zu sein.

Die Wahrheit über den Staatsterrorismus in Italien ist, daß er nie existierte; was soll man also mit denjenigen machen, die sich ihm mit der Waffe in der Hand entgegenstellen? Ganz einfach: sie zur Geschichte machen. Damit entdeckt man - wie einige das so schön sagen - daß es heute keine Gründe mehr gibt, um die subversiven Gesetze des Ausnahmezustandes anzuwenden; es gibt nun keine Notwendigkeit mehr, "die Gemeinschaft vor den TerroristInnen zu schützen". Hier spricht der Staat aus dem Mund irgendeines Kindes der Linken. Um "die Gemeinschaft zu schützen" hat der italienische Staat Bomben auf Plätze geworfen, bei Demos geschossen, auf den Polizeirevieren gefoltert, jede Person, die nicht dazu bereit war, "gefährlichen Individuen" zu denunzieren, der Komplizenschaft beschuldigt, hunderte von Prozessen geführt, die Zeitungen, Kollektive und Kampfkomitees in "bewaffnete Banden" und in "subversive Vereinigungen" umwandelten. Der leninistische Schwachsinn der Roten Brigaden und anderer "bewaffneter Avantgarden" nehmen dieser Realität nichts weg. Die "Profis der Revolution" begaben sich auf den gleichen Boden der Herrschaft, die sie bekämpfen wollten. Sie wollten sich ein spektakuläres Image aufbauen, über das sie die Ausgebeuteten zusammenriefen, die Macht zu ergreifen: das militärische Gefecht als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Trotz allem haben sie nicht das Leben der "Gemeinschaft" bedroht, es sei denn wir bezeichnen wie ein Staatsanwalt die RichterInnen, MinisterInnen, FaschistInnen, ErbauerInnen von Sicherheitstrakten und PolizistInnen als "Gemeinschaft".

Die revolutionäre Bewegung der 70er Jahre kann nicht auf den Schwachsinn der Avantgarde reduziert werden. Die Existenzberechtigung der Herrschenden wurde in diesen Kämpfen in Frage gestellt, die des Geldes und der Ware - nicht dieser oder jener Minister, diese oder jene Regierung. Die ArbeiterInnen verweigerten die Arbeit und sabotierten die Produktion; die StudentInnen wollten nichts mehr von der "Kultur" wissen und entdeckten sich als Ausgebeutete neben Ausgebeuteten; die PolizistInnen und linken PolitikerInnen lernten die "Kritik der Steine" kennen; bei Demos wurden Geschäfte geplündert und die Waren weiterverschenkt; die Subversiven bewaffneten sich gegen die FaschistInnen in dem Wunsch, daß sich die Leute gegen den Staat bewaffneten. Das waren, in ihren radikalsten Momenten, die 70iger Jahre. Die Revolte lag in der Luft und die Waffen auf den Straßen. "Nichts wird mehr wie vorher sein," so sprach der Realismus der Ungeduldigen.

Zur damaligen Zeit behauptete ein linker Abgeordneter: "Wenn wir es nicht schaffen, die Ordnung über die Gewerkschaften zu erlangen, dann werden wir sie mit der Polizei herstellen müssen." Genau das ist auch passiert. Die revolutionäre Bedrohung war sozial bedingt und nicht das Vorrecht irgendeines Grüppchens. Der Spektakel der Macht hatte also den Zweck, die Bedrohung zu unterdrücken, und präsentierte die Subversion als ein Gefecht zwischen zwei Armeen: der Staat auf einer Seite, die bewaffneten Parteien auf der anderen. Gegen die "TerroristInnen" war jedes Mittel recht (journalistische Verleumdungen, polizeiliche Provokationen, Gefängnis). Die "Vereinigungsdelikte" ("bewaffnete Bande" usw.) sind genau deswegen erfunden worden und hängen noch heute über den Köpfen unbequemer Individuen. Der Zweck derer, die heute diese Zeit "zur Geschichte" machen wollen, um die "demokratische Legalität" wieder herzustellen, beinhaltet eine klare Botschaft: das Fest ist aus, die Feindseligkeit vorbei. Die Demokratie kann umblättern.

Aber nein. Das Fest ist nicht aus, es hat noch nicht einmal so richtig angefangen. Das was dem Staat ermöglicht, die AnarchistInnen zu unterdrücken, ist der Fakt, daß zu viele Leute die militärische Niederlage einiger bewaffneten Organisationen mit der Unmöglichkeit einer radikalen Veränderung der Gesellschaft verwechselt haben.

Glühwürmchen sieht man, weil sie in der Nacht fliegen. Eine Anarchistin oder ein Anarchist stört nur, wenn sie/er lebt und frei ist. In Gefangenschaft werden sie zu Opfern verwandelt; sterben sie, vielleicht weil sie aus einem Fenster des Polizeireviers geworfen werden, können sie sogar zu Märtyrern werden. Nur diejenigen, die dieser Welt des Terrors weiterhin feindselig gegenüberstehen, sind unsere GenossInnen, nur mit ihnen werden wir das Fest von vorne beginnen.