Einige Texte aus dem Canenero
Und wenn die
Hölle nicht genügen würde?
Was wollt ihr machen, ihr
Herren Richter? - Wir sind unzähmbar!
Und wenn die Hölle nicht genügen würde?
"Daß es ein für alle Mal mit Deutlichkeit
gesagt sei: Der Terrorismus ist nur der des Staates, der
Faschisten und der Herrscher.
In einem Schreiben von 1997 legt Alfredo Bonanno,
unmöglich der Anführer eines bewaffneten anarchistischen
Haufens, Wert darauf, genau das zu betonen. AnarchistInnen haben
keine Anführer, noch Vertreter, ansonsten wären sie keine
AnarchistInnen, sondern ganz einfache BürgerInnen.
Der Terrorismus ist eine spezielle Form von Gewalt, die darauf
abzielt, die Macht, das Kommando zu haben, und nicht so
wie es sich die AnarchistInnen wünschen es zu
zerstören,.
Das Kommando, die Macht, die Autorität zu zerstören, das wollen
die AnarchistInnen durchaus, und dieser Anklage werden sie auch
immer schuldig sein. Für dieses
Schuldbekenntnis braucht es keine Beweise; sie sagen
es euch auch selbst. Es handelt sich um eine offensichtliche
Schuld, die allerdings noch nicht ausreicht, sie alle in den
Knast zu werfen. Wie sonst könnte man sich die Toleranz
gegenüber ihren vielfältigen öffentlichen Veranstaltungen
erklären, in denen sie ihre antiautoritären Aktionen und
Inhalte kundgeben?
Marini, der Richter und Henker des Staates, weiß dies ganz
genau. Er weiß nur allzugut, daß jede einzelne AnarchistIn die
Strukturen der Herrschenden, mit den Mitteln, die ihr zur
Verfügung stehen, allein angreift, oder sich mit anderen in
einer Aktion zusammenschließt, trotzdem aber immer sich selbst
als Individuum begreift. Deshalb hat er das Märchen der
"Revolutionären Anarchistischen Aufständischen
Organisation an Land gezogen. Deshalb hat er 29 Haftbefehle
ausgekotzt und nicht nur einen oder zwei. Die einzige
Möglichkeit, eine größere Zahl von Staatsfeinden und ihre
angeblichen Diener in den Knast zu sperren, ist die Erfindung
einer Bande. Eine Organisation, deren Strukturen wie die der
Mafia konzipiert sind.
So werden die Wohnungen der GenossInnen automatisch (im
Denkmuster von Polizei und Richtern) zu
Terroristennestern, die Zeitschriften zu
Gefährlichen Plänen von Theorie und Praxis für den
subversiven Umsturz der demokratischen Ordnung, die Briefe
an die Gefangenen zu klaren Beweisen ihrer
Komplizenschaft und Beweisen ihrer Mitschuld
die Beweise, die diese Gerichtswürmer darstellen, und die
Regie durch den Gespensterjäger Pierluigi Vigna sind die
Früchte sich wiederholender Hausdurchsuchungen, Abhöraktionen,
Beobachtungen, Falschaussagen von vogelscheuchenden
KronzeugInnen.
Tatsächlich jedoch handelt es sich um nichts anderes als um ein
Netz von Beziehungen unter AnarchistInnen. Ich möchte mal die
AnarchistInnen sehen, die keine Beziehungen untereinander haben.
Nichts von dem, was die Richter als Beweise vorlegen, weist auf
eine tatsächlich vorhandene Organisation hin, denn diese
das ist wichtig hervorzuheben gibt es einfach nicht. Die
übelsten Taten (mehrfacher Mord, einfacher Mord, Entführungen),
die einigen derjenigen vorgeworfen werden, gegen die ermittelt
wird, sind nach der Anklageschrift miteinander verflochten:
Banküberfälle und Entführungen, um die Druckereien zu
finanzieren. Druckereien, die von der Organisation benutzt
werden, um die fundamentalen revolutionären Theorien zu
verbreiten, und um Anleitungen für die Anfertigungen von
Sprengsätzen zu verbreiten. Ein perfekter Kreis, der die
Angeklagten für immer und ewig in den Kerker bringen würde,
eben genau das Urteil, das Terroristen vorbehalten
ist.
Und wie schon gesagt, der wahre Terrorist ist der Staat
der Staat, der Zwanzigjährige bewaffnet, der Waffen herstellt,
um sie an die Krieger zu verkaufen, der in kritischen Momenten
mit Bomben um sich wirft, um seine Diener und Untergebenen
einzuschüchtern, damit diese dann nach noch mehr Polizei und
Militär schreien. Der Aufstand einer jeden AnarchistIn, der
zornige, individuelle Aufstand, bewaffnet mit Bewußtsein,
richtet sich gegen diese reale Form der Beherrschung; er steht in
keinem Gesetzbuch. Deshalb ist er auch viel gefährlicher.
Komödien, Lügen, Verleumdungen und Gewalt, daß ist das
tägliche Brot des Staates, welches er uns anbietet. Die
armseligen Mutlosen gehen in diese Mensa, die Freien gehen allein
auf die Jagd und sättigen sich in der Revolte.
Wir wollen sofort alle Gefangenen in Freiheit. Wir werden es
wahrmachen, daß Marini, Ionta, Vigna und alle Würmer gleich
ihnen ihren glorreichen Horizont in den Flammen der Hölle finden
werden.
Il notturno
aus: Canenero Nr. 33 S. 5
Was wollt ihr machen, ihr Herren Richter? - Wir sind
unzähmbar!
Dienstag, 17. September, im
Morgengrauen: Eine große Anzahl Carabinieri, angeführt von der
berühmt-berüchtigten Spezialeinheit ROS, verschafft sich
gewaltsam Zutritt zu Wohnungen von über 70 AnarchistInnen in
verschiedenen Städten Italiens. Dies war auf spektakuläre Art
und Weise der Beginn der zweiten Phase einer richterlichen
Operation, die offiziell am 16. November 1995 bereits mit
Durchsuchungsaktionen in ganz Italien begann. Die römischen
Staatsanwälte Marini und Ionta beantragen beim Oberstaatsanwalt
Claudio D´Angelo 29 Haftbefehle, die dieser auch bereitwillig
unterschreibt. Die Beschuldigungen sind: "die Bildung einer
bewaffneten Bande, Mitgliedschaft in einer subversiven
Vereinigung, Besitz von Waffen und Sprengstoff". Einigen
werden zudem "Anschläge auf öffentliche Einrichtungen und
Überfälle", einigen anderen "Mord und
Entführung" zur Last gelegt. Einige der Beschuldigten sind
nicht auffindbar. Die vermummten Carabinieri riegeln mit
Dutzenden Einsatzfahrzeugen die Straßen, in denen die
Beschuldigten wohnen, ab. Mit Waffe im Anschlag stürmen sie zu
den Wohnungen, treten die Türen ein, zertrümmern Mobiliar und
Einrichtung, und durchwühlen die Wohnungen, die als
"Verstecke" und "logistische Basen"
bezeichnet werden. Aus ihrem Vorgehen ist ersichlich, daß nicht
einmal der Versuch unternommen werden soll, diese so groteske
Operation zu verschleiern. Im Gegenteil: die Aktion scheint
einstudiert, gut vorbereitet und gewollt spektakulär inszeniert
zu sein.
Schon am frühen Morgen berichten die Nachrichtensendungen von
der Operation wie von einem antiterroristischen Schlag gegen eine
gefährliche Gang von Kriminellen. Um 11 Uhr gibt Staatsanwalt
Marini eine Pressekonferenz, wo er Erklärungen zu dem
"bewaffenten Haufen" abgibt, von dem er sogar einen
exotischen Namen bekanntgeben kann; "O.R.A.I.". Die
Medien geben weiter, daß sich diese Organisation in der
Vergangenheit für zahlreiche Anschläge bekannt hätte, obwohl
sich niemand an eine solche Organisation erinnern kann. Die Bande
hätte sich, zusammen mit sardischen Kriminellen (diese werden in
Italien als Spezialisten für Entführungen dargestellt,
a.d.Ü.), durch Überfälle und Entführungen finanziert.
Mit dem Geld sei der Druck einiger anarchistischer Publikationen
finanziert worden: Anarchismo, Provocazione, Canenero.
Einen sehr großen Wert legt der Staatsanwalt Marini auf die
Feststellung, daß diese Aktion kein Angriff auf die Idee oder
ihre Äußerung sei: Selbstverständlich hätte jeder, der
"Politik macht", in seiner Wohnung nichts zu
befürchten. Aber hier hat man es mit gefährlichen kriminellen
Elementen zu tun, die zudem einen unbegreiflichen Hang zur
Subversion haben. Wie jede "Bande" hat sie auch einen
"Chef": den bekannten Anarchisten Alfredo Bonanno, der
in der "Hierarchie der Führungsgruppe" ganz oben
stehen soll.
Die Presse zählt akribisch auf, was den Beschuldigten zur Last
gelegt wird, und schöpft bei der Wahl der Schlagzeilen aus dem
Vokabular der 70er Jahre, aus den Jahren der Strategie der
Spannung. In der linken Presse sieht es nicht anders aus.
Einige Tage später beginnen die Verhöre, die bezeichnenderweise
von den Staatsanwälten Marini und Ionta selbst durchgeführt
werden. Sie erreichen jedoch nichts, da alle Beschuldigten die
Aussage verweigern. Salvatore Gugliara, Giuseppina Ricobuono und
Tiziano Andreozzi beginnen nach ihrer Festnahme einen
Hungerstreik, der sich später zusätzlich in einen Durststreik
verwandelt, um gegen diese Repression zu protestieren.
Die Ermittlungen werden abgeschlossen. Der nächste Schritt ist
die Entscheidung über die Anklagezulassung am 10. Dezember.
Aufgrund ähnlicher Beschuldigungen sind schon einige
AnarchistInnen im Gefängnis; einige Prozesse laufen noch, wie
der Prozeß wegen zweier Banküberfälle im Trentino und des
Entführungsfalls Silocchi.
Dieser Prozeß ist gekennzeichnet durch den Versuch der
Staatsanwaltschaft, eine Verbindung zwischen "allgemeiner
Kriminalität" und subversiven AnarchistInnen aufzuzeigen.
Ermöglicht wurden die Haftbefehle durch die Mitarbeit einer
Jugendlichen, die sich selbst beschuldigt, um andere festzunageln
und die von der Staatsanwaltschaft benutzt wird, diese absurde
Konstruktion aufzubauen: also eine Bande, samt Anführer,
Soldaten und Unterstützern. Welcher Anarchist könnte denn eine
hierarchische klandestine paramilitärische Struktur
unterstützen oder ihr gar angehören? Individuen, die in der
Existenz jegliche Form von Macht für sich und alle Menschen ein
Hindernis sehen, um sich frei entfalten zu können. Für die
AnarchistInnen, die aus der Art und Weise ihrer Vorgehensweise
die eigenen Bedingungen für ihr Leben und ihren Kampf entwickelt
haben, und nicht aus dem Konzept, etwas mit allen Mitteln zu
erreichen, stellt die "bewaffnete Bande" nicht nur
etwas monströses dar, sondern den Feind schlechthin. Noch dazu
ist das Konzept der "bewaffneten Bande" eine Struktur,
die vom Staat entwickelt worden ist.
Der Staat kann seinerseits nicht zugeben, daß eine Vernetzung
von Individuen gleichen Interesses und Affinitäten, die sich
zudem den Spielregeln der dominanten Gesellschaft entziehen,
möglich ist. So macht er aus dem täglichen individuellen
Widerstand von Menschen, die diesen auch bewußt äußern und
praktizieren, eine Organisationsform, die ihm geläufig ist und
die er zu bekämpfen weiß: Einen Anführer, eine Armee, einen
Feind. In diesem Kontext sollte man auch die versuchte
Mystifizierung seitens der Staatsanwaltschaft sehen, wenn sie von
der direkten Aktion, vom Aufstand, von der Revolution, der
Affinität und der informellen Organisation redet. Am Ende des
brillanten Theorems wird der Anarchismus zu einer Ideologie, ja
geradezu einem Glaubensbekenntnis. Aber die beiden Staatsanwälte
Marini und Ionta hinter derem repressiven Bild die Gestalt
des bekannteren Anarchistenjägers Pierluigi Vigna hervorlugt,
der schon seit 20 Jahren nach Gründen sucht, um die
AnarchistInnen definitiv einzusperren haben es nicht
nötig, ihre Vorgehensweise zu erklären. Sie können ihre
Operation innerhalb eines Tages abschliessen.
Einen Tag nach den Festnahmen hüllt sich jegliche
Informationsquelle ins Schweigen. Außnahme sind die
"Szenenradios" in einigen Städten, die diese
Angelegenheit mit Aufmerksamkeit verfolgen. Diejenigen, die sich
den Inquisierten nahe fühlen und die Gefährlichkeit dieser
Aktionen die jedes Individuum betreffen könnte, welches
sich feindselig gegenüber dem Staat bewegt erkannt haben,
greifen mit ihren eigenen Mitteln ein, um die
Einschüchterungstaktik und die Verblüffung zu sprengen. Die
These der "zwei Levels", ausgearbeitet in den 70ern,
ermöglicht es, jede Person anzuklagen, sie würde etwas
gesetzwidriges okkultieren. Ob das über Freundschaftsbeziehungen
und Solidarität, der Veröffentlichung und Verbreitung von
Publikationen, über den Besuch von Besetzten Zentren oder dem
Kampf gegen die alltägliche Repression geschieht, ist völlig
egal. Aktivitäten, die vielen im eigenen Alltag vielleicht fremd
sind, oder die sie als unbedeutend bezeichnen, oder von denen man
am besten gar nicht redet.
Marini und Ionta haben Tausende subversiver Wörter, die in
in vielen Jahren von vielen Leuten ausgesprochen worden sind,
interpretiert. Es sind jedoch nur einfache Wörter, Meinungen ,
über die man diskutieren kann, nichts mehr. Wie wollen sie den
Rest ergreifen?
aus: Canenero Nr. 33 S. 2/3