Einleitung
Zur allgemeinen Repression gegen AnarchistInnen
Bis Bald in Rom!


Einleitung

In dieser Einleitung wollen wir versuchen, noch einmal einen Überblick über die letzten Vorfälle in Italien zu geben:

In der Nacht vom 16. zum 17. September wurden in Italien 60 Häuser und Wohnungen durchsucht. Die ROS, eine Spezialeinheit der italienischen Carabinieri, versuchten, 20 Haftbefehle zu vollstrecken. Gleichzeitig wurde bekannt, daß in 70 Fällen gegen italienische AnarchistInnen ermittelt wird. Diese GenossInnen sollen, als Mitglieder einer (fiktiven) subversiven Vereinigung, an Entführungen beteiligt sein, Bomben- und Brandanschläge gegen Einrichtungen von Polizei und Militär sowie gegen Berlusconis Kaufhauskette Standa durchgeführt haben, “Blutbäder” verübt haben (dieser Tatvorwurf - strage - existiert im deutschen Strafrecht nicht), und nicht zuletzt illegal Waffen und Sprengstoff besessen haben. Bereits im November 1995 wurde mit ähnlichen Anschuldigungen eine Reihe von Wohnungen durchsucht.
Die Anklagen beruhen auf angeblichen Aussagen einer angeblichen Kronzeugin, die bereits im Prozeß gegen die AnarchistInnen Jean Weir, Antonio Budini, Carlo Tesseri und Christos Stratigopulos “ausgesagt” hat (Informationen zu diesem Prozeß könnt ihr auch von uns erhalten).
Hinter diesen Ereignissen sind die Oberstaatsanwälte Perluigi Vigna als Drahtzieher und Marini und Ionta als Handlanger zu finden. Diese Herren versuchen nicht mehr und nicht weniger, als eine Organisation ins Leben zu rufen, die es tatsächlich nicht gibt. Es gibt weder diese O.R.A.I. (Organisazione rivoluzionaria anarchica insurrezionalista - revolutionäre, anarchistische, aufständische Organisation) noch irgendeine andere Organisation in Form einer bewaffneten Bande. Daraus ergibt sich logischerweise, daß es auch keine Mitglieder oder gar Anführer dieser fiktiven Organisation geben kann.
Es gibt zwar einige Richter und andere kranke Hirne, die sich in ihrer geistigen Armseligkeit gar nicht vorstellen können, daß es Individuen gibt, die für ihr Leben nicht den Rahmen einer Organisation benötigen, um ihnen die Verantwortung für ihr eigenes Handeln abzunehmen, sondern die für sich selbst denken und handeln können.
Und diese gibt es auch: mehrere unbeugsame Individuen, die ihre Abneigung gegen den Staat und ihren Willen, ihn ein für alle Mal zu zerstören, immer wieder in der Öffentlichkeit und in ihren Freundeskreisen betonen. Außerdem noch ein paar Pechvögel, die in den 80ern für zwei Entführungen verurteilt wurden, obwohl sie sich weder zu den Entführungen bekannt haben noch andere konkrete Beweise ihrer Mittäterschaft existieren. Dann noch ein paar Individuen, die vor einigen Jahren tatsächlich einen Banküberfall gemacht haben, weil sie einfach keinen Bock mehr hatten, sich von der stumpfsinnigen Arbeitswelt ausbeuten zu lassen. Es gibt auch noch einen Toten. Ein Toter, der den Transport von Sprengstoff nicht überlebt hat und jetzt bequem dazu verwendet werden kann, der Ideologe dieser phantomatischen O.R.A.I. (von der es kurioserweisen weder irgendetwas schrifliches noch sonstiges gibt) zu sein. Tote reden ja bekannterweise nicht mehr, also kann man sie ja nach Bedarf benutzen.
‘Was läßt sich nun aus diesen Fakten konstruieren?’ müssen sich die Staatsanwälte gedacht haben. Nun: einen "bewaffneten Haufen“, eine "subversive Vereinigung“ mit dem "Ziel des Terrorismus“, die noch dazu über internationale Kontakte verfügt. Das ist aber immer noch zu einfach, denn: Was für eine "terroristische Organisation“ ist es, deren Telefonnummern jedeR hat, in dessen Wohnungen Hinz und Kunz ein- und ausgehen können; deren "Mitglieder“ bekannt sind wie bunte Hunde, und bei denen noch nicht mal ‘ne Gaspistole gefunden wurde?
Also muß der Tote als Gründer herhalten, Bonanno als Nachfolger, und alle übrigen AnarchistInnen als Mitglieder und Komplizen, unter denen man die Aufgaben wie “Kassierer”, die es typischerweise in hierarchischen Organisationen gibt, verteilt. Und mit der “Theorie der zwei Ebenen” – einer legalen und einer im Untergrund – kann man das ganze so gut verspinnen, daß sich der Arm der Krake um den Hals jeglicher AnarchistIn schlingen läßt. Das Ganze wird unterlegt mit den Aussagen einer konstruierten Kronzeugin, die noch nicht einmal konkrete Beweise vorlegt, sondern sich im Gegenteil auch noch in unendlich viele grobe Widersprüche verstrickt. (Einige Leute haben sich bis zum Erbrechen durch das Aussageprotokoll dieser netten Animierdame durchgearbeitet. In diesem Ausbruch veröffentlichen wir Auszüge dieses Protokolles im O-Ton; somit könnt ihr euch ein Bild von ihrer Glaubwürdigkeit und Seriösität machen.)
Wir sind der Überzeugung, daß sich jedes freiheitsliebende Individuum ernsthafte Gedanken über diese Konstruktion machen sollte. Es ist davon auszugehen, daß, wenn dieses Vorgehen der italienischen Justiz durchkommt und die AnarchistInnen verurteilt werden sollten, diese sich auch in anderen Ländern des europäischen Raum durchsetzen könnte. Italien ist ein sehr fortschrittlich bei der Verwendung von Kronzeugenregelungen, Pentitis, Reuigen und was sonst noch auf dem Markt der Justiz erhältlich ist. Ausgehend von der Kronzeugeregelung der Mafiapentiti konnte man in Italien beobachten, daß diese Strategie immer beliebter wird und immer neue Formen annimmt.

Der Ausbruch


Zur allgemeinen Repression gegen AnarchistInnen:

Unabhängig vom Prozeß in Trient wegen der angeblichen Banküberfälle wird es in nächster Zeit noch viele Prozesse in Italien geben. Nach den Durchsuchungen vom 16./17. 9. 96 sind Staatsanwalt Marini und seine Kollegen fleißig dabei, Anklagen gegen AnarchistInnen zu konstruieren; ein Großteil dieser Konstrukte stützt sich auf die mittlerweile 70 Seiten umfassenden und nicht beweisbaren Aussagen der Kronzeugin Namsetchi. Der Prozeß am 13.12. in Trient, hat somit eine Bedeutung über seinen engeren Rahmen hinaus: Bleibt die Aussage Namsetchis "glaubhaft“ (was heißt das schon, wenn darüber Leute entscheiden, deren erklärtes Lebensziel es ist, AnarchistInnen einzuknasten...), so bedeutet das für die GenossInnen in anderen Verfahren unter Umständen 5 bis 20 Jahre Knast.
Wir finden es auch deshalb so wichtig, bei diesem Prozeß so zahlreich wie möglich zu erscheinen.
Beim Prozeßtermin vom 7. 11. haben die Bullen sehr nervös auf die Anwesenheit der Deutschen und Schweizer GenossInnen reagiert. Scheinbar liegt ihnen nicht unbedingt viel daran, ihre selbst nach gutbürgerlich/demokratischen Gesichtspunkten fragwürdigen Justizpraktiken international publik werden zu lassen.
Leider sind die deutschen Anwälte, die eigentlich als Beobachter dem Prozeß beiwohnen wollten, in letzter Minute abgesprungen. Wir sind nun (wieder) auf der Suche nach internationalen AnwältInnen für den 13.12. und/oder für die großen Verfahren in Rom (Es gibt noch keinen Termin).
Kommt zum Prozeß! Interveniert bei italienischen Konsulaten, Botschaften, Behörden und anderen italienischen Einrichtungen! Bedenkt dabei aber, daß die Angeklagten nichts, aber auch gar nichts von dieser demokratischen Justiz halten – sie würden es wohl ablehnen, sich auf diese herrschaftssichernden Gesetze zu berufen.


Bis bald in Rom

Der Canenero schreibt in der Ausgabe 39 über den Prozeß vom 7. 11. in Trient:
"...Der Oberstaatsanwalt Coraiola forderte in seiner in lindem Tonfall und mit wenig Überzeugung vorgetragenen Rede die Reduzierung der Haftstrafen auf 3 Jahre, da es sich um eine Wiederholungstat handelt (die GenossInnen sitzen schon eine Haftstrafe von 3,5 bzw. 4 Jahren ab): soviel Nachsicht nur um die These zu stützen, die vier AnarchistInnen hätten so gehandelt, um irgendwelche illegalen Aktivitäten zu finanzieren, und nicht aus persönlicher Not, wie sie schon immer angegeben haben.
Die Verteidiger Venturini aus Catania und Ceola und Mattei aus Trient haben mit ihrem langen Plädoyer die Wünsche der Richter nach einem schnellen Verlauf des Prozesses ignoriert. Sie haben immer wieder auf die zahlreichen Widersprüche hingewiesen, die sich in den Aussagen der Mojdeh Namsetchi, der ex-Freundin von Carlo Tesseri, befinden. Diese beschuldigt sich selbst als Mittäterin der Überfälle, um die AnarchistInnen festzunageln. Die Verteidiger haben das Gericht aufgefordert, sehr genau über die Bedeutung und die Konsequenzen einer möglichen Bestätigung der Strafe nachzudenken. Denn damit wäre weiterhin die Glaubwürdigkeit der "Reuigen" bestätigt, und den römischen Staatsanwälten Marini und Ionta die Möglichkeit gegeben, ihre Ermittlungen am 10. Dezember bei Entscheidung über die Zulassung der schrecklichsten Anklagen gegen die 68 betroffenen AnarchistInnen erfolgreich in Haftbefehle umzuwandeln.
Nachdem die Richter für einige Stunden beraten hatten, hat das Gericht schlauerweise entschieden, seine Entscheidung auf den 13. Dezember zu vertagen, um Mojdeh Namsetchi, den Marschall Mercurio Farini aus Cicitavecchia, der sie zur Kooperation “überzeugt” hat, und Loris Setti, den Bankangestellten, der aussagte, er hätte eineN der TäterInnen erkannt, zu befragen. Außerdem werden andere Aussageprotokolle geprüft, die schon 1995 von der Namsetchi unterschrieben wurden, in denen man große Widersprüche zu ihren Aussagen vor Gericht findet, und medizinische Unterlagen, die ihren schlechten Gesundheitszustand im Juli 1994 aufgrund einer Abtreibung bestätigen – gerade zu der Zeit, in der sie ihren Angaben nach bei den Banküberfällen beteiligt war.
...
Nun ist Rom dran. Dort wird am Dienstag, dem 10. Dezember um 9.30 Uhr entschieden, ob die Anklagen von Antonio Marini und Franco Ionta gegen die 68 Betroffenen eingestellt werden, oder ob es zu einem Prozeß kommen wird. Natürlich werden wir auch dabei sein.“